Ritter mit Sprung in der Schüssel
Terry Gilliam wird doch noch fertig: Nach mehr als 25 Jahren kommt sein The Man Who Killed Don Quixote endlich ins Kino
Die Liste niemals realisierter Herzensprojekte bedeutender Regisseure ist lang und spannend. Egal, ob diffuses Sehnsuchtsobjekt im Hirn des Künstlers oder bereit begonnene, aber nie abgeschlossene Produktion – Filme wie Napoleon von Stanley Kubrik, The Other Side of the Wind von Orson Welles oder Tim Burtons Superman sind gerade deshalb so faszinierend, weil sie nicht existieren. Für lange Zeit sah es so aus, als sollte auch Terry Gilliams Don Quixote-Adaption prominentes Mitglied im Club der Unvollendeten bleiben. Doch mit The Man Who Killed Don Quixote hat es der einzige Amerikaner unter den Monty Pythons 2018 tatsächlich geschafft, den Stoff schließlich (fast) pünktlich auf den Filmfestspielen von Cannes zu zeigen und endlich auch dem Rest der Welt zugänglich zu machen.
Damit findet die wohl längste, bitterste – aber auch irgendwie unterhaltsamste – „development hell“ der Filmgeschichte nun ein Ende. Bereits 1989 entwickelte Gilliam die Idee, den legendären Schelmenroman von Miguel de Cervantes für das Kino zu adaptieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade mit einem ähnlichen Großprojekt kommerziellen wie künstlerischen Schiffbruch erlitten – Die Abenteuer des Baron Münchhausen floppten schrecklich bei Publikum und Kritik. Folglich dauerte es fast zehn Jahre, bis Drehbuch und Budget für das Quixote-Projekt standen. Doch die Dreharbeiten wurden zur Katastrophe; Unwetter, Krankheit des Hauptdarstellers Jean Rochefort und Finanzierungsprobleme führten dazu, dass die Produktion nie abgeschlossen wurde. (In der großartigen Dokumentation Lost in La Mancha kann man sich das alles noch einmal zu Gemüte führen.) Doch Gilliam ließ nicht locker; während seine Filme immer seltsamer und hermetischer wurden und immer weniger Publikum fanden, startete er einen neuen Versuch. Diesmal mit John Hurt im Sattel des edlen Ritters. Doch Hurt verstarb, bevor es richtig losgehen konnte. Dass The Man Who Killed Don Quixote nun doch auf der Leinwand zu sehen ist, stellt die erste Sensation dar. Die zweite besteht in der ganz außergewöhnlichen Qualität des 133 Minuten langen Werks.
Was auch immer man von dem Geschehen halten mag, das Gilliam hier präsentiert (und er präsentiert eine Menge) - The Man Who ist vor allem deshalb so interessant, spannend und faszinierend, weil er es schafft, seine Motive und seine eigene Entstehungsgeschichte im Rahmen einer Literaturverfilmung perfekt auf den Punkt zu bringen. Im dritten Anlauf gibt nun Jonathan Pryce (Gilliams fantastischer Hauptdarsteller aus Brazil) den Don, Adam Driver übernimmt den Part des Sancho Panza von Johnny Depp. Doch Gilliam gibt sich nicht mit einer werktreuen Adaption zufrieden; sein Sancho ist zunächst ein Werbefilmer namens Toby, der am Set einer aktuellen Produktion mit Cervantes-Bezug auf seinen Abschlussfilm stößt, in dem der Schuster eines spanischen Dorfes für ihn den Romanhelden spielte. Toby spürt den Mann auf, der sich mittlerweile längst für den einzig echten Don Quixote hält. Nun folgt ein munteres Spiel mit Identitäten, mit Fakten und Fiktionen, in dessen Verlauf der Romanklassiker immer wieder in den Dialog mit Gilliams eigenen spinnerten Visionen und Obsessionen tritt. Und das ist alles andere als dramaturgisch kohärent oder stringent komponiert. Im Gegenteil: Man merkt dem Regisseur an, dass er sich nun nach mehr als 25 Jahren voller Frustration und Niederlagen endlich richtig austoben kann (ein Fakt, auf den im Vorspann sogar explizit hingewiesen wird).
Wer also kompetent erzähltes Kino erwartet, wird hier bitter enttäuscht sein. Denn was ein entfesselter Gilliam mit großartigen Darstellern – neben Pryce toben vor allem Adam Driver und Joana Ribeiro als echte Energibündel durch die Gegend -, kümmert sich nicht wirklich um die Realitäten des Filmbusiness. Und ist gerade darum so eins mit sich und seinen Ideen. The Man Who Killed Don Quixote funktioniert also in erster Linie als Blick in die Werkstatt, als oft völlig schiefer, aber dafür umso leidenschaftlicherer Befreiungsschlag. Bei dem spätestens in jenem Moment, wenn sich die Handlung in das spanische Kastell eines russischen Oligarchen begibt, alle Pferde mit Don Gilliam durchgehen. Was ist Fantasie, und was ist Realität? Völlig egal, denn im Kino kann beides alles zugleich sein. Es ist schön zu sehen, wie die Statik von ordentlich misslungenen Projekten wie The Zero Theorem (2013) sich in manische Spielfreude auflöst. Unter diesem Aspekt betrachtet ist The Man Who Killed Don Quixote tatsächlich ein spätes Meisterwerk. Und wenn am Ende Toby/Sancho/Quixote mit neuem Sancho in den Sonnenuntergang reitet, dann ist tatsächlich klar: Dieser Don wird niemals sterben. Ein Film, auf den man sich einlassen muss. Schön, dass er schließlich doch noch vollendet wurde.
„The Man Who Killed Don Quixote“ läuft seit dem 27. September im Kino.
The Man Who Killed Don Quixote • Spanien, Frankreich, Belgie, Portugal 2018 • Regie: Terry Gilliam • Darsteller: Jonathan Pryce, Adam Driver, Olga Kurilenko, Stellan Skarsgård, Joana Ribeiro
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