17. November 2019 1 Likes

„Ich packe viel von mir selbst in meine Figuren.“

Im Gespräch mit Martha Wells, Autorin von „Tagebuch eines Killerbots“

Lesezeit: 4 min.

Die 1964 geborene Amerikanerin Martha Wells (im Shop) veröffentlichte 1993 ihren ersten Fantasy-Roman. Seitdem folgten allerhand Bücher, Novellen und Kurzgeschichten aus den Bereichen Fantasy und Science-Fiction, darunter auch offizielle Romane zu „Star Wars“ und „Stargate: Atlantis“ oder zwölf Kurzgeschichten zur „Dominaria“-Erweiterung des Fantasy-Sammelkartenspiel-Klassikers „Magic: Die Zusammenkunft“. Auf Deutsch erschien bei Heyne gerade „Tagebuch eines Killerbots“ aus Wells’ Feder, ein Sammelband mit vier Science-Fiction-Novellen über einen Cyborg-Söldner, der seine Programmierung umgangen hat und autonom in einem futuristischen, von der Menschheit besiedelten SF-Universum unterwegs ist, das ihn nicht als Indivduum sieht. Das bringt für Killerbot genauso viele Schwierigkeiten mit sich wie die zu erwartenden Fragen der Moral oder die ungewohnte Interaktion mit Menschen und anderen, wenngleich unterschiedlich hoch entwickelten künstlichen Intelligenzen – deshalb flüchtet sich die knallharte, schießende und hackende Kampfmaschine am liebsten in eskapistische Fernsehserien. Ihre Murderbot/Killerbot-Novellen brachten Martha Wells den Hugo Award, den Nebula Award, den Locus Award und den Alex Award ein, außerdem Nominierungen für den Philip K. Dick Award und den BSFA Award der British Science Fiction Association. Im Interview spricht Wells über die Killerbot-Perspektive, Novellen, Worldbuilding und ihre Lieblingsfernsehserien.

 


Martha Wells. Foto: Igor Kraguljac

Hallo Martha. Im Buch heißt es an einer Stelle: Vielleicht kann man eine Geschichte nicht aus der Sicht von etwas erzählen, dem man gar keine eigene Sicht zutraut. Was inspirierte dich dazu, eben gerade aus der Perspektive eines Cyborgs zu schreiben?

Ich bin mir nicht wirklich sicher, was sie inspirierte, aber als mir die Idee kam, schien eine sehr persönliche Story aus Killerbots Sicht der einzige Weg zu sein, die Geschichte zu erzählen. Ich wollte, dass der Leser die Perspektive von jemandem sieht, der offensichtlich eine Person ist, aber nicht als Person behandelt wird angesichts der Umstände, in der sie gefangen ist.

In den Killerbot-Erzählungen finden sich einige ironische „Meta-Kommentare“ wie der eben zitierte zur Genre-Fiction …

Sie waren nicht als Bemerkungen zur Science-Fiction gedacht, sondern als Kommentare auf das Geschichtenerzählen im Allgemeinen. Auf die Geschichten, die erzählt werden, und die Geschichten, von denen wir nie gehört haben.

Was war das Schwerste dabei, aus der Perspektive eines nichtmenschlichen Antihelden zu schreiben, und was am Einfachsten?

Ich fand es nicht besonders schwer, abgesehen davon, dass ich stets die ganzen Fähigkeiten von Killerbot im Hinterkopf behalten musste, sich Zugang zu Kameras und anderen Systemen zu verschaffen, und diese beim Schreiben auch wirklich nutzte, was dazu neigt, Einfluss auf die Logistik aller Actionszenen zu nehmen. Der größte Vorteil der Perspektive waren die Möglichkeit, Killerbot Informationen über Ereignisse erhalten zu lassen, ohne selbst physisch anwesend sein zu müssen, sowie die Sicht eines Außenstehenden auf Menschen.

Hatte es Auswirkungen auf deine soziale Interaktion, wenn du beim Schreiben lange „in Killerbots Rolle“ warst?

Ich habe nie Probleme damit, meine Figuren vom Rest meines Lebens zu trennen, wahrscheinlich deshalb, weil ich schon seit so langer Zeit schreibe. Wenn überhaupt, ist es genau andersherum, und ich packe viel von mir selbst in meine Figuren.

Ich fand es charmant, dass Killerbot ein Serienjunkie ist. Bist du selbst ein großer TV-Serien-Fan?

Auf jeden Fall. Einige meiner Favoriten sind „Elementary“, „How to Get Away With Murder“, „Stargate: Atlantis“, „The Expanse“, „Jessica Jones“, „Luke Cage“ und „Legends of Tomorrow“.

Ist die Geschichte des Killerbots, der im Umgang mit anderen viele Probleme hat, auch eine SF-Metapher auf Autismus und das Asperger-Syndrom?

Die Novellen waren nicht darauf ausgelegt, aber die Parallelen sind sicherlich vorhanden. Ich denke, dass viele Symptome der Angst und der Depression, die Killerbot hat, Dinge sind, die eine große Anzahl Menschen betreffen, aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Man spürt früh den reichhaltigen Weltenentwurf, ohne dass er sich je in den Vordergrund drängt. Wie viel Worldbuilding fand im Vorfeld statt?

Ich betreibe nie viel Worldbuilding, bevor ich mit dem Schreiben anfange. Das meiste davon wurde gemacht, während ich die Novellen schrieb. Ich tat nicht viel im Vorfeld und hatte auch keine Worldbuilding-Bibel, als ich die erste Erzählung verfasste, da ich nicht wusste, dass es eine Serie werden würde oder die Leser mehr von dieser Welt haben wollten.

Ab wann wusstest du denn, dass es mehr als eine Erzählung geben würde?

Ursprünglich sollte es nur eine Novelle werden, „Systemausfall“. Doch als der Verlag sie kaufte, fragte man nach einer zweiten Novelle. Sowie ich mit dem Schreiben von „Auf Paranoia programmiert“ fertig war, wurde mir klar, dass ich weitermachen wollte, und bot ihnen zwei weitere Erzählungen an. Sobald diese fertiggestellt waren, entschied ich mich, für 2020 den Killerbot-Roman „Network Effect“zu schreiben.

Was macht die Novelle zu so einer guten Länge für Science-Fiction?

Meiner Meinung nach hängt die richtige oder falsche Länge von der Story ab, die du erzählen willst, aber für die Science-Fiction kann die Novelle lange genug sein, um eine befriedigende Geschichte zu erzählen und dem Leser eine großartige Worldbuilding-Erfahrung zu verschaffen.

Wie deine Killerbot-Erzählungen bewiesen. Vielen Dank für das Interview!

 

Martha Wells: Tagebuch eines Killerbots • Aus dem Englischen von Frank Böhmert • Heyne, München 2019 • 573 Seiten • E-Book: 12,99 Euro (im Shop)

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