27. September 2021

Anleitung zur Zerschlagung von Monopolen

Wie wir Tech-Giganten in die Knie zwingen und den digitalen Markt entflechten können

Lesezeit: 15 min.

Das Thema Monopole ist aus einem einzigen Grund interessant: Entscheidungsfreiheit. Damit meine ich weder Wettbewerb als Selbstzweck noch die Fetischisierung der „Auswahlmöglichkeit“ zwischen verschiedenen Produkte, sondern vor allem die Möglichkeit jedes Einzelnen, sein Leben so weit wie möglich nach eigenen Vorstellungen zu leben – vorausgesetzt, er respektiert die Bedürfnisse seiner Mitmenschen, selbst wenn sie den eigenen Wünschen womöglich entgegenstehen.

Wir leben in einer Welt umfassender und zunehmender Monopolisierung. Von der Kulturbranche (Verlage, Filme, Streaming, Comics, Buchhandel, Kinos, Künstleragenturen, Spiele, Wrestling) über das Finanzwesen (Banken, Investmentfonds, Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen) und die Agrarindustrie (Saatgut, Vieh, Traktoren, Dünger, Pestizide, Präzisionslandwirtschaft) bis hin zu allen übrigen Bereichen (Radiosender, Kreuzfahrten, Cheerleaderuniformen, Medikamente, Glasflaschen, Fluglinien, Brillen, Sportschuhe, Fast Food, Kurierdienste, Tierfutter). Wenn nur einige wenige Konzernbosse darüber bestimmen, was Sie lesen, wo Sie arbeiten, wie Ihr Essen angebaut wird und sogar was Sie Ihrer Katze zu fressen geben, wäre es dann nicht schön, wenn diese Leute auch dieselben Werte und Moralvorstellungen wie Sie haben?

So ist es natürlich nicht. Besagte Firmenvorstände ticken ganz anders. Als Mark Zuckerberg Instagram kaufen wollte, schickte er dem Finanzvorstand von Facebook unbedachterweise mehrere Mails, in denen er den Hauptgrund für die Übernahme darlegte: Die jüngeren Benutzer waren mit Facebook unzufrieden und wanderten scharenweise zu Instagram ab. Indem Zuckerberg Instagram kaufte, machte er all jenen, die die Frechheit besaßen, nach ihren eigenen Vorstellungen (und nicht nach denen seiner Shareholder) leben zu wollen, einen Strich durch die Rechnung. Die Übernahme ermöglichte es ihm, auch diejenigen, die Facebook abtrünnig geworden waren, zu kontrollieren, auszuspionieren und Geld mit ihnen zu verdienen.

Per Definition wissen Sie besser über Ihre Bedürfnisse Bescheid als irgendein Produktdesigner, und selbst die Konzerne, die sich heute nach Ihren Wünschen richten, können Ihnen morgen in den Rücken fallen. Zum Beispiel könnte Ihnen die Sicherheitsmaßnahme, die verhindert, dass Dritte auf Ihre Backups zugreifen, womöglich selbst den Zugang verweigern, wenn Sie beim Wechsel auf ein neues Gerät vergessen, eine wichtige Datei zu kopieren. Die Entscheidung eines Konzerns, den Support für ein bestimmtes Gerät einzustellen, könnte zur Folge haben, dass Sie nicht mehr an Ihre Fotos oder Dateien auf einem alten Tablet gelangen. Diese paternalistische Bevormundung geht von der Voraussetzung aus, dass der Konzern besser über die Interessen seiner Kunden Bescheid weiß als diese selbst.

Die Forderung nach mehr Auswahl ist kein Konsumdenken. Selbstbestimmung hat nichts mit dem simplen Wunsch nach einem anderen Blauton oder einer anderen Position des Startmenü-Buttons auf dem Bildschirm zu tun, sondern damit, dass Sie (und nicht irgendein Konzernvorstand) das letzte Wort haben, wenn es darum geht, wie Sie Ihr Leben führen.

Diese beklagenswerte Monopolisierung aller Industriezweige wurde immer mit derselben Strategie erreicht: Der Monopolist kauft zukünftige Mitbewerber auf, fusioniert mit den mächtigsten Rivalen und nutzt seine Marktmacht, um die übrigen Konkurrenten zu zerschmettern. Monopolisierung findet statt, wenn die Investoren ihr Vermögen in Firmen anlegen, die andere Firmen aufkaufen – eine Erfolgsgeschichte, die nur durch die Eliminierung von Alternativen ermöglicht wird, nicht etwa durch die Entwicklung und den Verkauf eines besonders guten oder beliebten Produkts.

Die in den USA heute allgegenwärtige gesellschaftliche Duldung dieser Monopolisierung nahm vor vierzig Jahren während Reagans Präsidentschaft ihren Anfang. Seither hat jede einzelne Regierung wettbewerbsverzerrende Fusionen erlaubt und bei wettbewerbsschädigenden Praktiken ein Auge zugedrückt. Die Wende der Wettbewerbshüter hin zum „Verbraucherwohl“ (also zu niedrigen Preisen) hat Arbeitsmärkte, nationale Ressourcen und die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen zerstört. Heute liegt die Kontrolle ganzer Industriezweige in den Händen einiger weniger mächtiger Personen, die die Regulierungsbehörden nach ihrer Pfeife tanzen lassen oder gleich selbst die Aufgaben des Staates übernehmen.

So viel zur Geschichte. Reden wir jetzt über die Zukunft.

Ich hätte gerne wieder eine so kraftstrotzende, aggressive Kartellbehörde wie in der Ära vor Reagan. Meiner Meinung nach sollten wir die Beweislast umkehren, sodass Fusionen nur dann erlaubt sind, wenn beide Unternehmen beweisen können, dass der Zusammenschluss keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. Wir könnten uns sogar alle Firmen vorknöpfen, die in ihrer Branche länger als ein paar aufeinanderfolgende Jahre Marktführer waren – aus der wohlbegründeten Annahme heraus, dass so etwas nur mit wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen als grundlegendem Prinzip zu erreichen ist.

Aber das ist Zukunftsmusik. Der Öffentlichkeit ist das Phänomen der Monopolisierung so deutlich bewusst wie seit Jahrzehnten nicht, allerdings sehen die wenigsten Menschen sie auch als Gefahr. Vielleicht machen sie sich Gedanken darüber, dass ihr Bier von lediglich zwei Firmen hergestellt wird oder das Internet mittlerweile nur noch aus fünf riesigen Websites mit Bildern und Texten der anderen vier besteht. Vielleicht schimpfen sie über die Nachlässigkeit ihres Steuerberaterkonzerns oder über die (manchmal tödliche) Willkür ihrer Krankenversicherung. Aber die meisten Leute haben (noch) nicht durchschaut, dass das Übel eine Wurzel hat: den Monopolismus.

Ausnahmsweise ist die Politik hier mal schneller als die Wählerschaft. Der gewiefte Politiker weiß, dass es gut bei der Basis ankommt, sich als Kämpfer gegen Konzernwillkür zu gerieren. Andere haben es satt, die Wasserträger für zunehmend unverschämtere Lobbyisten zu sein, die immer weitreichendere Gefallen einfordern, die den Wählern immer schwieriger zu verkaufen sind.

Und es kommt noch schlimmer: Ausgerechnet die Politiker, die gegen die Monopolisierung in einem Bereich zu Felde ziehen, spielen den Marktführern in einem anderen in die Hände. Beispielsweise unterstützt die Telekommunikationsindustrie die Zerschlagung von Monopolen, wenn es um ihre Erzfeinde von Big Tech geht. Der Monopolist kann mit Antikartellgesetzen leben, solange diese den anderen Monopolisten schadet – doch der Versuch, das Kartellrecht als Werkzeug zur Vernichtung eines verhassten Rivalen zu nutzen, um es dann wieder in der Schublade verschwinden zu lassen, geht hoffentlich nach hinten los.

Ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung kämpfen die Politiker jedoch einen aussichtslosen Kampf gegen die Monopolisierungstendenzen. Die derzeitigen Kartellrechtsprüfungen und Gesetzeseingaben in den USA sind im Vergleich zu denen vergangener Jahre ziemlich mutig, aber noch nicht ansatzweise so scharf und unnachgiebig, wie sie sein müssten. In dieser Situation ist taktisches Denken gefragt: Wo können Siege errungen und wie können diese zu unserem Vorteil eingesetzt werden?

Eins ist sicher: Auf die Hilfe der Geschäftswelt können wir nicht bauen. Es mag zwar so aussehen, als wären Google und Facebook erbitterte Feinde, die man nur gegeneinander ausspielen muss. Doch in Wahrheit besteht kaum ein Unterschied im „Wesen“ der beiden Konzerne. Deshalb fühlte sich die ehemalige Google-Managerin Sheryl Sandberg in der Führungsetage von Facebook sofort wie zu Hause, und deshalb haben so viele Google-Mitarbeiter früher für Facebook gearbeitet und umgekehrt. Dasselbe gilt für die berühmt-berüchtigte Rivalität zwischen Google und Apple: So, wie die Fürsprecher beider Konzerne reden, könnte man zu dem Schluss gelangen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Apple mit seinem angeblichen Respekt vor der Privatsphäre seiner Kunden und seinen geschlossenen Systemen und dem offeneren, aber auch übergriffigeren Google-Prinzip von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Doch als es darum ging, die Löhne zehntausender Angestellter in der Technologiebranche durch ein Abwerbeverbot möglichst niedrig zu halten, zogen die beiden Firmen – zusammen mit Intel, E-Bay und anderen – plötzlich an einem Strang.

Ist das alles also nur Bullshit? Haben alle Konzerne dieselbe Ideologie, nämlich den Profit? Sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Firmen womöglich nur so groß und bedeutsam wie der zwischen Gummibärchen in verschiedenen Farben? Sind diese Monopolisten gar austauschbar, weil ihre Führungskräfte zusammen die Karriereleiter erklommen, miteinander Urlaub gemacht und die Patenschaft für die Kinder der anderen übernommen haben? Womöglich sind das gar keine Rivalen … Ich meine ja nur: Womöglich gibt es auch unter Monopolisten so etwas wie Klassensolidarität.

Wenn wir schon nicht damit rechnen dürfen, dass sich die großen Konzerne gegenseitig zerfleischen, brauchen wir im Kampf gegen die Monopolbildung die Unterstützung der Bevölkerung. Dazu müssen wir Schritt für Schritt vorgehen und einen kleinen Sieg nach dem anderen erringen.

Und wir sollten – wenig überraschend – bei den Technologiekonzernen anfangen.

Die Digitalbranche hat momentan einen schlechten Ruf, dennoch hat das Thema Monopolisierung bei den wenigsten Wählern oberste Priorität, obwohl sie den großen Tech-Konzernen weder vertrauen noch besonders große Sympathien entgegenbringen. Es gibt bereits in mehreren US-Bundesstaaten, auf Bundesebene und auch in anderen Ländern kartellrechtliche Maßnahmen gegen mehrere große Konzerne. Die Branche war die erste, die ohne signifikante wettbewerbsrechtliche Beschränkungen wachsen durfte, und die Veteranen erzählen noch heute davon, wie aus einem lebendigen, dynamischen, temporeichen Geschäftsfeld ein verkrusteter Klüngel aus einem halben Dutzend Vorstandsvorsitzender wurde.

Dass sich die Technologiebranche schon im Visier der Kartellbehörden befindet, ist nicht der einzige Grund, aus dem sie das ideale Ziel darstellt. Von einem wettbewerbsrechtlichen Standpunkt aus gesehen, ist das Besondere der Digitalbranche die ihr zugrunde liegende Struktur vernetzter Computer. Denn obwohl die Monopolisierung in jeder Branche nach demselben Muster vonstattenging (eine exzessive Übernahmestrategie, gefolgt von wettbewerbsschädigenden Maßnahmen), unterscheidet sich ihr Rückbau aufgrund der unterschiedlichen technologischen Voraussetzungen von Wirtschaftsbereich zu Wirtschaftsbereich. Jede Branche hat ihre ganz eigenen Schwachstellen, die wir ausnutzen können.

Weshalb stellt die Technologiebranche das ideale Ziel einer neuen kartellrechtlichen Offensive dar? Interoperabilität. Alles ist miteinander kompatibel. Interoperabilität ist ein Teil unseres Lebens, und für digitale Systeme ist sie sogar Voraussetzung, da alle Digitalcomputer „Turing-Vollständige Von-Neumann-Maschinen“ sind (soll heißen, dass alle Programme auf allen Computern ausgeführt werden können). Der Laptop, auf dem ich diese Kolumne schreibe, kann die Programme ausführen, mit denen ich früher auf meinem Apple II+ gearbeitet habe, und umgekehrt. Prinzipiell sind alle digitalen Systeme miteinander kompatibel. Davon ist die physische Welt weit entfernt.

Um zu verstehen, was diese Interoperabilität mit digitalen Monopolen zu tun hat, müssen wir die Rolle des „Netzwerkeffekts“ bei der Entstehung dieser Monopole betrachten. Man spricht vom Netzwerkeffekt eines Systems, wenn sein Nutzen mit der Anzahl seiner Benutzer steigt. Niemand würde Facebook nutzen, wenn er der Einzige dort wäre, doch sobald alle, die man kennt, bei Facebook sind, kann man es sich nicht mehr leisten, darauf zu verzichten. Der Netzwerkeffekt kann zu einer sogenannten „Winner takes it all“-Situation führen, wenn eines der Systeme die kritische Masse erreicht, gegenüber seinen Konkurrenten die Oberhand gewinnt und von selbst immer weiterwächst.

Der Netzwerkeffekt ermöglichte nicht nur das Wachstum der Sozialen Medien, sondern auch das vieler damit verbundener Digitalkonzerne. Ein iPhone gewinnt an Wert, wenn Softwareunternehmen neue Apps dafür entwickeln. Je mehr Apps zur Verfügung stehen, desto mehr Gründe gibt es, sich ein iPhone zu kaufen, und mit der wachsenden Zahl der iPhone-Besitzer wächst auch die Menge der potenziellen Kunden für neue Apps.

In der Wirtschaftswissenschaft wird viel vom Netzwerkeffekt gesprochen, wenn es um den Wettbewerb in digitalen Märkten geht. Doch ein noch wichtigeres Konzept wird sträflich wenig beachtet: die „Umstellungskosten“. Die fallen dann an, wenn man von einer Situation in eine andere wechseln muss. Zu den Umstellungskosten eines Umzugs beispielsweise zählen die Ausgaben für die Spedition, Umzugskisten, Maklergebühren, die Zeit, die es braucht, um das Kind an der neuen Schule anzumelden und sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen, die Mahngebühren, die man bezahlen muss, weil der Nachsendeauftrag nicht funktioniert und die Rechnungen nicht rechtzeitig ankommen … und so weiter.

Bei digitalen Monopolen sind die Umstellungskosten viel wichtiger als Netzwerkeffekte. Heutzutage haben die Leute Angst davor, ihren Facebook-Account zu löschen, weil sie damit ihre Freunde verlieren. Besagte Freunde sind aus demselben Grund bei Facebook. Man meldet sich bei Facebook wegen des Netzwerkeffekts an (wodurch das Monopol entsteht), und bleibt bei Facebook wegen der andernfalls anfallenden hohen Umstellungskosten (was das Monopol erhält).

Und hier kommt die Interoperabilität ins Spiel. Es gibt keinen technischen Grund, aus dem man seine Freunde verlieren muss, wenn man sich von Facebook verabschiedet. Schließlich kann man auch den Mobilfunkanbieter wechseln und trotzdem noch mit allen seinen Bekannten telefonieren. Die bekommen noch nicht einmal mit, dass man überhaupt gewechselt hat, da man ja seine Telefonnummer mitnehmen kann. Bis auf Tarif und Abrechnungsmodus ändert sich im Prinzip nichts.

Weshalb man dann nicht auch von Facebook zu einem Konkurrenten wechseln und trotzdem mit seinen Freunden in Kontakt bleiben kann, liegt nicht etwa an irgendwelchen technischen Beschränkungen des Computernetzwerkes, sondern weil Facebook dies nicht will.

Interoperabilität senkt die Umstellungskosten. Umstellungskosten machen Netzwerkeffekte zunichte. Wenn man mit seinen Freunden auf Facebook reden kann, ohne auf Facebook angewiesen zu sein, könnte man jede beliebige App benutzen – nicht nur Mark Zuckerbergs goldenen Käfig. Dasselbe gilt für App-Stores (wenn man seine Apps mitnehmen kann, hat man einen Grund weniger, nicht von Android zum iPhone oder umgekehrt zu wechseln). Das gilt für jede Technologie, die auf dem Netzwerkeffekt beruht.

Die Unternehmen haben ein gespaltenes Verhältnis zur Interoperabilität. Solange sie noch klein sind und auf Kundenfang gehen müssen, ist Kompatibilität eine feine Sache: Man kann Tinte für den Drucker einer anderen Firma verkaufen. Oder ein Programm, mit dem man seine auf einem anderen großen Sozialen Netzwerk wartenden Nachrichten lesen kann. Facebook hatte früher eine ganze Palette von Kompatibilitätstools zur Vernetzung mit anderen Diensten. Diese wurden im Lauf der Jahre nach und nach eingestellt, und heute bedroht oder verklagt Facebook zuverlässig alle, die damit kompatibel sein wollen.

Hier muss das Kartellrecht ansetzen. Die Technologiefirmen haben kein Interesse daran, ihre Kartellverfahren bis zum bitteren Ende auszufechten. Diese dauern lange, kosten eine Menge Geld und sind unglaublich peinlich. Deshalb enden die meisten Kartellverfahren nicht mit einem Gerichtsurteil, sondern mit einem Vergleich. Normalerweise geht es dabei um eine Geldstrafe (und wenn die Strafe niedriger ausfällt als der durch die illegalen Aktionen erwirtschaftete Profit, ist es keine Strafe, sondern eine Gebühr). Allerdings können an einen Vergleich Bedingungen geknüpft sein, die die Firma erfüllen muss, wenn sie weiter im Geschäft bleiben will.

Warum machen wir nicht einfach Interoperabilität zu einer dieser Bedingungen? Warum sagen wir nicht: „Zuck, wir werden dich (vorerst) nicht dazu zwingen, Instagram zu verkaufen, aber wir zwingen dich dazu, ein digitales Interface zu entwickeln, das deine Wettbewerber ebenfalls benutzen können, damit deren Benutzer Nachrichten mit deinen austauschen können“? So zumindest der grobe Plan – selbstverständlich müssen Elemente wie die Sicherung der Privatsphäre oder der Schutz vor Spam und Belästigung bei so einem Vergleich sorgfältig ausgearbeitet werden.

Eigentlich müssen wir noch nicht einmal auf einen Vergleich warten, wir könnten einfach das entsprechende Gesetz erlassen. Verpflichtende Interoperabilität alleine wird jedoch nicht ausreichen, um die Umstellungskosten zu reduzieren. Für die Tech-Giganten ist es ein Leichtes, solche Regeln zu sabotieren, und diese Sabotage zu beweisen geschweige denn zu unterbinden ist ein langwieriges Verfahren. Ohne ergänzende Maßnahmen wird die verpflichtende Kompatibilität zu einem Katz-und-Maus-Spiel.

So geschehen beispielsweise 2012. Die Mehrheit der Wähler im Bundesstaat Massachusetts stimmte in einem Bürgerbegehren dafür, dass der Hersteller eines Kraftfahrzeugs den unabhängigen Automechanikern die nötigen Informationen zur Verfügung stellen muss, um die Diagnoseinformationen mittels Datenkabel aus dem Bordcomputer seiner Autos auslesen und interpretieren zu können. Die Leute hatten genug davon, dass die Autofirmen seit geraumer Zeit versuchten, die Autowerkstätten zu monopolisieren und die unabhängigen Mechaniker aus dem Geschäft zu drängen.

Noch vor Inkrafttreten des Gesetzes sorgten die Autofirmen dafür, dass die Diagnosedaten in allen Neuwagen nicht länger über Datenkabel, sondern drahtlos übertragen wurden – weil die Wireless-Systeme der Autos von diesem Gesetz ausgenommen waren. Erst acht Jahre später, Ende 2020, konnten die Wähler in Massachusetts mit einem weiteren Volksbegehren dieses Schlupfloch schließen. In der Zwischenzeit hatten die Konzerne jedoch ganze Arbeit geleistet: Viele unabhängige Mechaniker mussten ihre Werkstätten schließen und arbeiteten nun als Angestellte bei den offiziellen Servicecentern der Autofirmen.

Vorschriften und Verbote allein nützen nichts, wenn man sie sofort unterlaufen kann und es eine Ewigkeit dauert, bis man dafür belangt wird. Der Verstoß gegen eine Vorschrift muss schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, ansonsten wird sie niemand befolgen. Eine für die Firmen schmerzhafte Konsequenz wäre die sogenannte feindliche Interoperabilität oder auch kompetitive Kompatibilität wie zum Beispiel bei Tintenpatronen, die nicht vom Hersteller des Druckers stammen. Sie stellt die ideale Ergänzung zu einer verpflichteten Interoperabilität dar. Wenn Facebook ein Kartellverfahren mit dem Versprechen beilegt, den Nutzern konkurrierender Dienste zu erlauben, mit Facebook-Usern Nachrichten auszutauschen, es sich dann aber anders überlegt und die Nutzung dieser Schnittstelle erschwert oder unmöglich macht, könnte kompetitive Kompatibilität – beispielsweise in Form von Bots, die das Facebook-Konto eines Nutzers auslesen und die Informationen an den Konkurrenzdienst senden – die Lösung sein. Selbstverständlich könnte man diese Bots mit Gegenmaßnahmen bekämpfen – beispielsweise durch neue Firewall-Regeln. Aber Facebook macht so etwas höchst ungern und geht lieber vor Gericht, als kompetitive Kompatibilität mit technischen Mitteln zu kontern. Schließlich ist technologische Kriegsführung schmutzig, risikoreich und potenziell geschäftsschädigend. Jede Regel, die einen Bot aussperren soll, sperrt früher oder später auch echte Benutzer aus. Und selbst wenn die Blockade gelingt, werden sich die Nutzer, die nicht länger mit ihren Freunden bei anderen Diensten kommunizieren können, über diese Gängelung beschweren. Ein Horrorszenario, das Digitalgiganten scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Angesichts dessen ist verpflichtende Kompatibilität geradezu verlockend – und wenn eine Firma tatsächlich gegen die Vorschriften verstoßen sollte, können diejenigen Nutzer, die auf kompatible Dienste angewiesen sind, aufgrund der kompetitiven Kompatibilität auf Alternativen zurückgreifen, bis die Sache geklärt ist. Sie hat also die Macht, schwer durchsetzbare Vorschriften in solide, wettbewerbsfördernde Lösungen zu verwandeln. Doch bis dahin ist es noch ein langer Kampf, müssen doch alle Gesetze, die die Tech-Giganten wie eine undurchdringliche Barriere zum Schutz ihrer Produkte und Geschäftsmodelle errichtet haben, einer Revision unterzogen werden. Die schiere Masse der zu überarbeitenden Gesetze ist entmutigend, die juristisch-politische Überarbeitung kann Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Allerdings gibt es eine Abkürzung: kartellrechtliche Vergleiche.

Wie bereits erwähnt, könnten Vergleiche dazu dienen, den Tech-Monopolisten Kompatibilitätsvorschriften zu machen. Im Gegensatz zu Gesetzen, die für alle Firmen gelten und auf ihrem langen Weg durch die Legislative entschärft oder verändert werden können, werden Vergleiche von den Staatsanwälten im Hinblick auf die entsprechenden Firmen formuliert. Außerdem treffen sie diese in einem Augenblick, in dem sie alles tun würden, um einen jahrelangen Rechtsstreit (bei dem sie womöglich Interna offenlegen müssten) zu vermeiden, von den umfangreichen und aufwendigen juristischen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer solcher Fälle ganz zu schweigen.

Wir können einen Vergleich sowohl dazu nutzen, die Firmen zur Kompatibilität zu zwingen, als ihnen auch die Möglichkeit zu nehmen, diese Kompatibilität wieder zu unterwandern. Dazu müssen spezielle Instanzen eingerichtet werden, juristische Babysitter sozusagen, die alle rechtlichen Schritte, die eine Firma gegen einen Konkurrenten einleiten will, zuerst absegnen müssen. Erst wenn zweifelsfrei bewiesen ist, dass die Klage gerechtfertigt ist (weil ein Konkurrent beispielsweise Benutzerdaten gestohlen hat), geht sie vor Gericht. Ansonsten hat der Monopolist keine Möglichkeit, Interoperabilität mit rechtlichen Maßnahmen zu verhindern.

Eine Kompatibilitätsvorschrift würde bedeuten, dass andere Dienste auf die Plattform des Monopolisten zugreifen können, wodurch der Nutzer mehr Selbstbestimmung über sein digitales Leben erhält. Die Instanz, die die juristischen Schritte des Monopolisten genehmigt, sorgt dafür, dass der Monopolist diese Vorschrift nicht umgehen kann, wenn er keine kompetitive Kompatibilität riskieren will.

Das wäre das Worst-Case-Szenario für die Tech-Giganten, die einen asymmetrischen Technologiekrieg ebenso abgrundtief verabscheuen wie ständige Patches zur Abwehr feindlicher Interoperabilität. Mit einem Kompatibilitätszwang müssen die Konzerne einfach nur dafür sorgen, dass das Interface zu den konkurrierenden Anbietern reibungslos funktioniert, dann werden diese es auch benutzen. Warum auch nicht? Auch die Konkurrenz steckt ihre Ressourcen lieber in die Verbesserung ihrer Services, als ständig Facebooks Sicherheitsmaßnahmen umgehen zu müssen.

Letzten Endes lautet die Antwort auf zunehmende Marktkonzentration nicht Interoperabilität, sondern die Entflechtung der Märkte. Es ist alles andere als einfach, einen Monopolisten zu zerschlagen, der gewaltige finanzielle Mittel hat und für viele Menschen und Firmen von essenzieller Bedeutung ist.

Das öffentliche Bewusstsein für die Gefahren der Monopolisierung ist zwar so ausgeprägt wie seit Jahrzehnten nicht, aber wir haben noch immer einen weiten Weg vor uns. Um den Schwung der letzten Jahre zu verstärken, anstatt ihn zu verlieren, brauchen wir Erfolge, auf denen noch größere Erfolge aufbauen können und so weiter. Die Digitalbranche bietet sich hier an, weil die Tech-Giganten einerseits extrem unbeliebt und andererseits unverzichtbar sind. Sie stellen die Kommunikationsmöglichkeiten bereit, ohne die eine Massenbewegung unmöglich wäre. Die zugrundeliegende Flexibilität und Wandelbarkeit aller digitalen Technologie, ihre Fähigkeit, alles miteinander zu verbinden, bedeutet eben auch, dass den Monopolisierungsgegnern eine überlegene Waffe zur Zerschlagung der Monopole zur Verfügung steht: Interoperabilität.

Verpflichtende Kompatibilität würde die Monopole zwar nicht zerschlagen, aber sie wäre der Anfang vom Ende der Marktkonzentration – ein erster Schritt, den wir gehen müssen, bevor wir uns ehrgeizigere Ziele stecken.

 

Cory Doctorow ist Schriftsteller, Journalist und Internet-Ikone. Mit seinem Blog, seinen öffentlichen Auftritten und seinen Büchern hat er weltweit Berühmtheit erlangt. Sein Roman „Walkaway“ ist im Shop erhältlich. Zuletzt erschien bei Heyne seine Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“ (im Shop).

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