28. September 2015 2 Likes

Wir Mars-Männer

Der Rote Planet hat die Menschheit schon immer fasziniert – vor allem die männliche Hälfte

Lesezeit: 4 min.

Im Jahr 1949 warf der E. M. Hauschting Verlag zu Kassel den ersten Band seiner Serie „Die Erotik der Weltraumschiffahrt“ auf den Markt. Titel: „Das blonde Baby vom Mars“. Verfasst hatte das Werk ein gewisser Jean de Bernais – ein Pseudonym für Hans Ichgut. Ichgut hatte sich damals mit Sittenromanen wie „Ich tanze nackt“, „Das Freudenhaus im Herzen Asiens“, „12 Frauen im Schlafwagen“, „Ich liebe eine Kannibalin“, „Ich liebe eine Scharfrichterin“ oder „Goebbels Sekretärin!“ einen Namen gemacht, Werke, die der geneigte Leser für sechzig Pfennig unter dem Reihentitel „Liebesabenteuer in aller Welt“ wohlfeil erwerben konnte. Der Autor firmierte auf den Titelbildern als „Don Juan des 20. Jahrhunderts“. Nachdem dieser in die ferne Zukunft katapultierte Don Juan sich lange genug in allen Gegenden der zivilisierten wie der unzivilisierten Welt herumgeliebt hatte, schickte sich der Liebesabenteurer nunmehr an, den näheren Weltraum zu erotisieren.

Erotik und Science-Fiction – ich weiß, ein heikles Thema. Scheint doch die Liebe zu den Raketen, Ionenstrahltriebwerken und anderem Weltraumeroberungsgerät oft mit einem Keuschheitsgelübde einher zu gehen, und ist nicht umsonst einer der ersten Marsfahrer unserer Literaturgeschichte, Athanasius Kircher, von Haus aus Mann und Mönch gewesen (Jesuit, um genau zu sein). Ein Band 2 und weitere Nummern der Serie „Die Erotik der Weltraumschiffahrt“ sind deswegen leider auch nie erschienen. Wahrscheinlich aus Gründen des Jugendschutzes vor den Gefahren einer Darstellung interplanetarischen Reise- und Geschlechtsverkehrs verzichtete der Autor übrigens auch in Band 1 auf jegliche auch nur ansatzweise amouröse Situation.

Aber vielleicht war ja der Griff zum Mars überhaupt ein Fehlgriff, wenn es um Sinnlichkeit und Liebeskunst auf anderen Himmelskörpern gehen sollte. Hätte sich ein blondes (brünettes, kastanienrotes) Baby von der Venus vielleicht besser an den Mann gebracht? Wer weiß. Der Mars, fürchte ich, ist einfach zu männlich. Nicht umsonst steht er in allerlei irdischen Götterhimmeln für den Krieg: als Mars und Ares in der Antike, als Kriegsgott Nergal bei den Babyloniern, als Tyr in der nordischen Mythologie, als Huitzilopochtli, Zerstörer von Menschen und Städten, beim Aztekenvolk, als Stern des Feuers (Huoxing) im Chinesischen. Kaum ein Kriegsherr, Haudrauf und Schlagetot, dem er nicht heilig gewesen wäre.

Kein Wunder also, dass er auch neuerdings viel Wind macht – etwa in Andy Weirs Roman „Der Marsianer“, in dem ein wackeres Astronautenteam auf dem Roten Planeten landet und dies und das tut, dann aber vor einem wunderkräftigen Sturm fliehen muss. Dabei bleibt ein einzelner Marsfahrer zurück, Mark Watney, ein Robinson Crusoe ohne Hoffnung auf Freitag. Und von einem blonden Baby kann dort drüben schon gar keine Rede sein. Das Buch ist auch verfilmt, und zwar aufs Spektakulärste; der Mars erscheint im Film so hautnah und gefühlsecht, dass man sich fragt: Könnte eine wirkliche Weltraum-Expedition das überhaupt noch toppen? Ja, würden wirkliche Astronauten im marsianischen Wüstensand dagegen nicht reichlich blass aus sehen?

Vermutlich.

Dennoch, fürchte ich, ist eine Kontaktaufnahme mit unserem Nachbarplaneten kaum noch aufzuhalten. Und das nicht, weil man hienieden den sirenengleichen Lockruf eines blonden Babys vernommen hätte. Wo aber die Liebe nicht treibt (siehe hier die Fehlanzeige zu: „Das blonde Baby vom Mars“), da treibt Geld. Und dem, der über Geld verfügt, hat der Mars einfach zu viel zu bieten: Berge, gegen die der Mount Everest eine flache Matschhalde ist; Canyons, die den Grand Canyon mit Grandezza in die Westentasche stecken. Ich habe keine Zweifel: Die Ultrareichen dieser Erde, jene, die beim Anblick einer Wenige-Millionen-Euro-Yacht das müde Gähnen packt, jene, die sich nicht herablassen, mit dem Fußvolk im überlaufenen, vermüllten und vermaledeiten Himalaya zu kraxeln, all jene Öl- und Gas-Oligarchen, jene Magnaten des finanziellen Hochadels werden sich ein Schnäppchen wie eine exklusive Spritztour zum Mars nicht entgehen lassen.

Der Traum von einer Invasion vom Mars ist aus. Die wahren Invasoren kommen von der Erde. Die Siebenmeilenstiefel der Marstouristen sind bereits geschnürt.
 

P.S.:  Übrigens ist der prominente Mars-Riegel nicht nach dem prominenten Planeten benannt, und der Planet nicht nach dem Schokoriegel. Stattdessen trägt das Schokozuckerwerk den Familiennamen seines Erfinders, eines gewissen Forrest Mars. Der nämlich hat die Süßigkeit anno 1932 auf der Grundlage des Milky-Way-Riegels ausgetüftelt, einer Süßigkeit, die ihrerseits bereits ein Familienerbgut war. Forrests Vater nämlich, Frank Clarence Mars (geboren 1883 in Minnesota, gestorben 1934 in Tennessee, mithin Zeitgenosse von Franz Kafka und Raketenpionier Max Valier), hatte etliche Riegel ersonnen, darunter eben Milky Way (oder auch Snickers). Seit 1922 trägt seine Zuckerwarenschmiede den Namen Mars Incorporated. Wäre übrigens gar kein schlechter Name für eine Marsreiseagentur gewesen …

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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