7. August 2017 1 Likes

Die Ära der Pilzgefechte

Einige unserer gefährlichsten Gegner schießen lautlos aus dem Boden

Lesezeit: 4 min.

In unserer von natürlichen Prozessen zunehmend abgeschnittenen Technozivilisation halten wir uns für gefeit vor typischen Dritte-Welt-Problemen. Wir übersehen dabei, dass wir nach wie vor auf ganz grundlegende Weise verwundbar sind – wir müssen essen. Beginnen wir also, mit ein paar falschen Vorstellungen aufzuräumen.

Unterernährung, wie wir sie aus Entwicklungsländern kennen, ist meist keine Folge von mangelnder Kalorienproduktion, sondern liegt daran, dass sowohl Kleinbauern wie auch Stadtbewohnern die Kaufkraft für ausreichenden Nahrungserwerb fehlt. Verschärft wird ihre Situation noch durch die Spekulation mit landwirtschaftlichen Ressourcen, durch Ackerflächenverschwendung für übermäßige Fleischproduktion und natürlich auch durch die steigende „Bioenergie“-Erzeugung auf Nahrungsmittelflächen. Dieser Risikomix wird in den nächsten Jahrzehnten wachsen: zunehmende Wetterextreme aufgrund des Klimawandels gerade in den ohnehin benachteiligten Gebieten der Erde; häufiger auftretende Hungerkatastrophen durch Missernten und politische Misswirtschaft.

Laut einer 2013 von der University of Minnesota veröffentlichten Studie nehmen die Ernten der wichtigsten Nahrungspflanzen (Weizen, Reis, Soja, Mais) weltweit lediglich um 0,9 bis 1,6 Prozent jährlich zu, während aber 2,4 Prozent notwendig wären, um den sich für 2050 abzeichnenden globalen Bedarf zu decken. Diese Verknappung hat an sich schon das Potenzial für Kriege. Doch es kann noch schlimmer kommen.

Von den wenigsten bemerkt, entging der Sudan im Jahr 2006 nur knapp einer Ernährungskatastrophe, die den – von China nicht ganz uneigennützig finanzierten – Ausbau seiner Weizenproduktion rasch vernichtet hätte. Wissenschaftler entdeckten im Agrargebiet von New Halfa nämlich ein winziges Wesen, das auf Arabisch „Dhangeil“ genannt wird und uns allen in den nächsten Jahrzehnten noch ziemlichen Ärger bereiten könnte. Dhangeil ist weder Tier noch Pflanze, sondern ein Pilz. Genauer gesagt eine neue und äußerst gefährliche Form des Schwarzrosts.

Dieser mit Fungiziden und Gentechnik bekämpfte und bis Ende der 1990er Jahre eigentlich für ausgerottet gehaltene Pflanzenschädling war in Uganda als mutierte Art wieder aufgetaucht. Äußerst aggressiv trickst er sämtliche natürliche und gezüchtete Abwehrmechanismen des Weizens aus, vernichtete etwa in Kenia dreißig Prozent der Anbauflächen und bringt gleichzeitig immer neue genetische Formen seiner selbst hervor. Zwar konnte seine Ausbreitung im letzten Moment durch weiträumige Maßnahmen verhindert werden, aber die Gefahr ist längst noch nicht vorüber.

Da Weizen zusammen mit Reis das wichtigste Nahrungsmittel der Menschheit ist, wäre etwa ein Horrorszenario, dass sich der Schwarzrost von Afrika aus bis nach Indien und in die Türkei ausbreitet – zwei bevölkerungsreiche Länder, die massiv von Weizenanbau abhängen.  Da der Pilz potenziell bis zu achtzig Prozent der weltweiten Weizenflächen erreichen kann, wäre er eine tödliche Gefahr für die gesamte menschliche Zivilisation.

Zwar ist es durchaus möglich, dass die aggressivsten Formen des Schwarzrosts durch Eindämmung sowie neue gentechnische Resistenzen des Anbauweizens besiegt werden. Allerdings bergen die derzeitige Entwicklung der Welternährung sowie die zunehmenden Monokulturen in Folge steigender Nachfrage nach Fleisch (Weizen ist auch ein verbreitetes Futtermittel) und Bioenergie bedrohliche Risiken von Ernteausfällen. Und als ob das nicht genug wäre, könnte der zunehmende geopolitische Kampf um die Anbauflächen Afrikas zu einem gruseligen Science-Fiction-Szenario wie diesem führen:

Schon seit geraumer Zeit sehen wir, dass auf der Welt kaum noch konventionelle Kriege ausgetragen werden. Stattdessen werden zunehmend „verdeckte Operationen“, ferngesteuerte Drohnenattacken, Cyberangriffe sowie technische und wirtschaftliche Sabotagen durchgeführt. Mit der Abhängigkeit wachsender Bevölkerungen von Nahrungsmitteln werden ihre Nationen auf gefährliche Weise verletzlich. Und mit Schädlingen wie Schwarzrost, Kraut- und Braunfäule und weiteren Pilzarten treten nun winzige „Agenten“ auf den Plan, die die Anbauflächen des Gegners empfindlich treffen können. Alles was der Angreifer benötigt, ist ein Genlabor, um den Pilz seiner Wahl resistent gegen Fungizide zu machen, sowie das anschließende Ausbringen der Sporen mittels Flugzeugen, Drohnen oder eingeschleuster Saboteure auf den agrarischen Zielgebieten. Der Aggressor könnte sich danach bequem zurücklehnen und die Nachrichten von mysteriösen Hungerkatastrophen verfolgen, denn praktisch niemand wird nachweisen können, dass die neue Pilzform nicht auf natürliche, sondern künstliche Weise mutierte – und wo das geschah.

Beachten Sie in den nächsten Jahren also mit Aufmerksamkeit, in welchen Gebieten der Welt Ernteausfälle auftreten, wem die Anbauflächen gehören und wer vom Hunger des Betroffenen profitiert. Und überlegen Sie sich, ob es nicht doch besser wäre, auf regional erzeugte Lebensmittel sowie reduzierten Fleisch- und Weizenkonsum umzusteigen.

Guten Appetit!
 

Uwe Neuhold ist Autor, bildender Künstler, Medien- und Museumsgestalter mit Schwerpunkt auf naturwissenschaftlichen Themen. Alle Kolumnen von Uwe Neuhold finden Sie hier.

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