Mit Crowdsourcing zum Mond
Die unglaubliche Geschichte von „Operation Moonwatch“
Ich muss Ihnen etwas gestehen, das Sie womöglich überraschen könnte: Ich finde die Geschichte der Weltraumforschung hochinteressant. Wenn ich etwas über die Mondlandung, die Anfänge des Wettlaufs ins All, das Spaceshuttle oder die Internationale Raumstation lesen kann, bin ich glücklicher als Donald Trump mit Smartphone und Big Mac. Als mir daher ein Buch mit dem Titel „Apollo to the Moon: A History in 50 Objects“ in die Hände fiel, war ich mir sicher: Das Wochenende ist gerettet.
Jawohl, ich bin ein Nerd — ob Ihnen das gefällt oder nicht.
Teasel Muir-Harmony, eine Kuratorin des Smithsonian Museum, zeichnet in diesem Buch das Apollo-Programm anhand fünfzig dafür relevanter Gegenstände nach. So weit, so bekannt, dachte ich – ich erwartete Kameras, NASA-Aufnäher, ein Rad des Mond-Rovers und so weiter, insgesamt also eine mäßig interessante Beschreibung einiger Paraphernalien der Weltraumforschung. Mit einer Offenbarung dagegen hatte ich nicht gerechnet.
Das Buch bietet eine umfangreiche und gut geschriebene Schilderung einiger Gegenstände, die für das Apollo-Programm wichtig waren, und stellt die Menschen vor, die sie hergestellt haben – darunter mehrere Wissenschaftlerinnen und schwarze Wissenschaftler, die für das Projekt unerlässlich waren, ohne dass man ihre Verdienste bisher entsprechend gewürdigt hätte. Aber die eigentliche Offenbarung ereilte mich beim dritten Eintrag: einem „Operation Moonwatch“-Teleskop aus den späten Fünfzigerjahren. Eigentlich handelt es sich dabei nur um ein unscheinbares Metallrohr, das irgendjemand am Smithsonian Astrophysical Observatory mithilfe von aus dem Krieg übriggebliebenen Waffenbauteilen zusammengebastelt hat. Doch hinter dieser einfachen Konstruktion aus Aluminium, Messing und Glas steckt eine der bemerkenswertesten Geschichten zur Weltraumforschung überhaupt.
In den Fünfzigern hatten wir noch erstaunlich wenig Ahnung vom Weltraum. Es war ein Riesenaufwand, Satelliten in die Umlaufbahn zu befördern, und als wir das irgendwann geschafft hatten, konnten wir sie nicht mehr orten. Das Vorhaben, den Himmel mit zwölf gewaltigen Kameras zu beobachten, scheiterte schnell aus einem simplen Grund: Der Himmel ist ziemlich groß, und niemand wusste, worauf man die Kameras richten sollte. Satellitenortung ist heutzutage so selbstverständlich, dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass wir früher nicht dazu in der Lage waren, doch in den Fünfzigerjahren war das ein Riesenproblem.
Wir konnten damals zwar Objekte ins All schießen, doch sobald sie auf ihrer Umlaufbahn um die Erde waren, wusste niemand, wo sie sich genau befanden. Nicht gerade optimale Bedingungen also, um Weltraumforschung zu betreiben.
Bis sich Dr. Fred Whipple, seines Zeichens Leiter des bereits erwähnten Smithsonian Astrophysical Observatory, der Sache annahm. Whipple hatte eine der besten Ideen in der Geschichte der Menschheit: Anstatt den Himmel von teuren, vom Geld des Steuerzahlers finanzierten Kameras beobachten zu lassen, suchte er sich Freiwillige, die diese Aufgabe übernahmen. Und nicht nur ein paar — tausende Männer und Frauen suchten den Himmel ab und meldeten vorüberziehende Leuchtpunkte. Das Observatory interessierte damals nicht, in welchem Zustand die Satelliten waren; die Wissenschaftler wollten lediglich wissen, wo sie sich befanden, und dabei waren die Freiwilligen eine große Hilfe. Irgendwann erhielt diese Unternehmung die offizielle Bezeichnung „Operation Moonwatch“.
Die Freiwilligen sollten sich ihre kleinen Teleskope entweder kaufen oder selbst bauen — wobei dann so etwas wie die oben beschriebene Apparatur herauskam. Man traf sich in kleinen Gruppen und gab seine Sichtungen per Funk weiter. Das mag in unseren Ohren nicht nach einer besonders erfüllenden Tätigkeit klingen, aber im Jahr 1958 fanden sich über achttausend Freiwillige, die mit Tausenden von Teleskopen den Himmel beobachteten. Was für jene Zeit besonders bemerkenswert ist: Über ein Drittel der Freiwilligen waren weiblich. Und sie alle stürzten sich mit Feuereifer auf die Satellitenbeobachtung und Umlaufbahnberechnung.
Erstaunlich, nicht wahr? Gerade in der Ära Trump ist es doch ein erhebendes Gefühl zu wissen, dass die Menschen einst in großer Zahl bereit waren, sich freiwillig für den wissenschaftlichen Fortschritt zu engagieren. Dabei strafte die etablierte Wissenschaft diese Freiwilligen zunächst mit Verachtung. Man bezweifelte, dass ihre Beobachtungen verlässlich genug sein würden, um die Weltraumforschung voranzubringen. Doch da täuschte man sich gewaltig: Die Freiwilligen waren nicht nur in der Lage, akkurate Daten zu liefern, sie waren für die Entwicklung der Weltraumforschung, wie wir sie heute kennen, sogar unverzichtbar. „Es hat Millionen gekostet, Vanguard und Sputnik ins All zu schießen“, schreibt Muir-Harmony, „doch eines der wichtigsten wissenschaftlichen Werkzeuge des Weltraumzeitalters bestand aus Aluminium und ein paar ausrangierten optischen Bauteilen und hatte einen Materialwert von etwa 30 Dollar.“
Die moderne Technik hat Erfindungen wie Google Earth oder Smartphones hervorgebracht, mit denen man komplexe Berechnungen anstellen kann. Zweifellos sehr segensreiche Dinge — aber ist es immer ein Vorteil, nicht länger auf die Mitarbeit tausender Freiwilliger angewiesen zu sein? Ich finde, es ist eine tröstliche Vorstellung, dass es in der Geschichte der Menschheit eine Zeit gab, in der so viele von uns zur freiwilligen Zusammenarbeit bereit waren.
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.
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