29. Oktober 2018 1 Likes

Vom Mond zur Erde

Weshalb ein Weltraumlift sowohl eine gute als auch eine Schnapsidee ist

Lesezeit: 4 min.

Seit einiger Zeit bin ich bei einem Thema so fanatisch, dass Freunde und Familienmitglieder die Flucht ergreifen, sobald ich es zur Sprache bringe: der Weltraumlift. Ich bin nämlich felsenfest davon überzeugt, dass wir keinen Weltraumlift, sondern einen Mondlift bauen sollten.

Es wird ja mit schöner Regelmäßigkeit behauptet, dass ein Weltraumlift die Lösung all unserer Probleme darstellt. Wir brauchen größere Raketen? Bauen wir einen Weltraumlift. Der Weltraumtourismus kommt nicht so recht in Schwung? Bauen wir einen Weltraumlift. Die Space Force der Vereinigten Staaten will nicht abheben? Weltraumlift. Aber im Ernst – das ganze Konzept des Weltraumlifts ist eine bescheuerte Idee. Ich werde diesem Spuk ein Ende bereiten. Gern geschehen.

Dabei ist der Plan trügerisch simpel. Ein Weltraumlift ist ein Kabel, das von der Erde zu einem fixen Punkt in einer geosynchronen Umlaufbahn gespannt und durch Gegengewichte an Ort und Stelle gehalten wird. An dieses Kabel kann man Gondeln hängen und schon hat man – nun ja, einen Lift, mit dem man alles Mögliche zum Bruchteil der bisherigen Kosten, aber ohne explosiven Raketentreibstoff ins All befördern kann. Nach und nach könnte so ein richtiger Weltraumbauhof im Orbit entstehen.

Klingt toll, funktioniert aber nicht. Nicht in diesem oder einem anderen Universum.

Weil es nämlich kein uns bisher bekanntes Material gibt, das den Kräften standhalten könnte, die auf das Kabel einwirken. Alles, was uns zur Verfügung steht, würde bei der kleinsten Belastung reißen, also beispielsweise bei den von den Gondeln verursachten Vibrationen und Schwankungen. Selbst eine minimale Schwingung hier am Erdboden würde sich auf das Kabel übertragen und immer stärker werden – zum Leidwesen der Astronauten am anderen Ende, die plötzlich mit den katastrophalen Konsequenzen zu kämpfen hätten. Und übrigens: Noch weiß niemand, wie verhindert werden soll, dass etwas gegen das Kabel prallt - Weltraummüll, Mikrometeoriten, vom Kurs abgekommene Aufklärungsflugzeuge, UFOs … von den unvermeidlichen Angriffen durch Terroristen, Donald Trump, Kim Jong-Un, religiöse Fanatiker und Lindsay-Lohan-Fans ganz zu schweigen. Eine kleine Kollision reicht, um das Kabel schwer zu beschädigen oder zu durchtrennen. Dann treibt nicht nur die Raumstation unkontrolliert durchs All, das andere Ende dieses sehr schweren Kabels wird mit ungebremster Wucht auf die Erde stürzen. Und da das Kabel insgesamt 22.000 Meilen lang ist, können wir nur hoffen, dass es größtenteils im Ozean landet.

Da bauen wir doch lieber einen Mondlift, dann haben wir diese Probleme nicht.

Einem Mondlift liegt genau dasselbe Konzept zugrunde, nur führt das Kabel hier von der Erdumlaufbahn zum Mond. Führende Physiker wie Jerome Pearson befürworten dieses Konzept, und auch ich bin zunehmend der Ansicht, dass ein Mondlift der beste Transportweg ins All ist. Man braucht dafür noch nicht einmal ein sonderlich fortschrittliches oder reißfestes Material. Wegen der geringen Schwerkraft reicht ein dünnes Kabel völlig aus. Solange man die Balance hält und an den richtigen Stellen Gegengewichte anbringt, ist diese Konstruktion um einiges stabiler als der herkömmliche Weltraumlift. Und um sie in der richtigen Position zu halten, bedarf es auch nur wenig Schubkraft. Selbstverständlich dauert es etwas länger, bis die Gondeln von der Mondoberfläche die Erdumlaufbahn erreichen, aber es ist auch weit preisgünstiger.

Natürlich wurde ich von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, dass es Sinn und Zweck eines Weltraumlifts ist, Gegenstände von der Erdoberfläche ohne großen Aufwand in die Umlaufbahn zu befördern. Ist da der Umweg um den Mond nicht ein Widerspruch? Im Gegenteil: Der Zweck eines Weltraumlifts ist es, Baumaterial ins All zu transportieren. Wenn das erst einmal oben ist, kann man dort ohne Probleme alles herstellen. Außerdem ist der Mond reich an nützlichen Ressourcen: Mondregolith und Helium-3, das eine billige, saubere Energiequelle darstellt.

Und sollten es die durchgeknallten Lindsay-Lohan-Fans tatsächlich bis zum Mond schaffen und einen Anschlag auf das Kabel durchführen, so ist die Reparatur viel einfacher, als sie auf der Erde wäre. Auch in diesem Fall ist die geringe Schwerkraft auf unserer Seite.

Zugegeben, ein Mondlift setzt eine Mondstation voraus, aber auch dieses Problem lässt sich mit Geld lösen. Mit viel Geld. Na gut, es wird wohl noch eine Weile dauern. Bis dahin werde ich jeden, der einen Weltraumlift fordert, erbarmungslos niederbrüllen. Was für eine Schnapsidee. Mein Vorschlag ist besser.
 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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