2. Mai 2016 2 Likes

Das Gute

Die Hoffnung auf eine bessere Welt betrifft weniger die Zukunft als das Hier und Jetzt

Lesezeit: 4 min.

Wo sind die positiven Zukunftsvisionen, Herr Mamczak? Diese Frage begleitet mich seit jenem Tag, an dem ich meine Tätigkeit als Lektor und Autor im Weinberg des Futuristischen aufgenommen habe. Sie kommt in unterschiedlichen Varianten vor (etwa: Hat die Science-Fiction überhaupt noch etwas zur Zukunft zu sagen? Oder: Warum werden keine Utopien mehr geschrieben?), meint aber immer dasselbe, nämlich: Gibt es eigentlich noch Hoffnung?

Dazu, zur Hoffnung, komme ich gleich. Zunächst muss ich gestehen, dass die Frage bei mir regelmäßig eine gewisse intellektuelle Kurzatmigkeit verursacht. Hatte ich nicht gerade ein Buch von Ursula K. Le Guin, Kim Stanley Robinson oder Cory Doctorow in der Hand, in dem, wenn nicht die beste, dann doch eine bessere Form des menschlichen Zusammenlebens als unsere geschildert wird? War mir nicht dieses Manuskript eines jungen Autors auf den Tisch geflattert, dessen Zukunftswelt in keiner Weise dem gängigen dystopischen Klischee folgt? Und wenn wir schon dabei sind: Ist nicht Star Trek mit dem ganzen Gerechtigkeitsfimmel und den multikulturellen Pyjama-Partys insgesamt eine wunderbar positive Zukunftsvision?

Aber das Problem reicht natürlich tiefer. Nicht nur, dass kein Leser – auch die nicht, die nach mehr Utopien rufen – heute noch einen Roman lesen würde, der nach dem klassischen Morus’schen Schema funktioniert; der Begriff selbst ist im Laufe der Jahrhunderte durch so viele diskursive Filter gerauscht, dass sich kaum noch ein Konsens erzielen lässt, was er eigentlich bedeutet. Jeder verwendet das Wort „Utopie“, wie er es in der politischen Debatte gerade braucht, von links grüßt Bloch, von rechts Popper, und am Ende bleibt das diffuse Gefühl, dass damit womöglich irgendetwas, ja, Positives gemeint sein könnte, solange man es nur nicht auf die Wirklichkeit appliziert.

Nur, was heißt das wiederum: „positiv“? Ich weiß natürlich, was für mich eine positive Zukunftsvision ist (der Biologe Edward O. Wilson hat sie in seinem gerade erschienenen Buch „Half-Earth“ ziemlich genau skizziert), aber ich kann nicht davon ausgehen, dass Sie mir darin uneingeschränkt zustimmen. Andererseits begegne ich immer wieder Leuten, deren Ideen von einer großartigen Zukunft – sei es eine Zukunft, in der Mensch und Ding zu einer „smarten“ Entität verschmelzen, oder eine Zukunft, in der man alles, was einem nicht gefällt, mit einem Stacheldrahtzaun aussperrt – für mich der blanke Horror sind. Die Vermutung liegt also nahe, dass man mit „positiv“ gar nichts Konkretes meint, sondern dass man einfach nach einem Hoffnungsschimmer Ausschau hält, nach einem Hinweis darauf, dass unsere dystopiedurchwirkte, krisengeschüttelte Gesellschaft in ihrer permanenten Fünf-vor-zwölf-Situation nicht doch irgendwie, und sei es in der Science-Fiction, in der Lage ist, sich eine bessere Welt vorzustellen.

Damit allerdings kann ich etwas anfangen. Denn selbstverständlich können wir uns eine bessere Welt vorstellen: eine sozial gerechtere, ökologisch nachhaltigere, kulturell einigere Welt. Was wir uns nicht vorstellen können (jedenfalls, das ist meine Erfahrung, die meisten von uns nicht), ist, wie diese bessere Welt zustande kommen könnte. Das ist ein wichtiger Unterschied: Es mangelt nicht an positiven Zukunftsvorstellungen; es mangelt an etwas gänzlich Gegenwärtigem: dem Guten und Vernünftigen. Es mangelt daran, dass wir das, was wir als gut und vernünftig erkannt haben (das sozial Gerechte, das ökologisch Nachhaltige, das kulturell Einigende), nicht in die Praxis umsetzen. Oder, um die Latte nicht allzu hoch zu legen, es nicht einfach mal ausprobieren – hier und jetzt, in unseren Firmen, unseren Vereinen, unserem Alltag. Stattdessen sehnen wir uns nach ausbuchstabierten Visionen, nach performativen Utopien, nach überwältigenden Bildern einer besseren Zukunft.

Ein psychosoziales Missverständnis. Denn von einigen utopistischen Kleinstgruppen abgesehen ist keine Gesellschaft in der Geschichte je einem bestimmten Bild von der Zukunft gefolgt. Die sozialistische nicht, auch wenn man es ihr immer wieder nachsagt, und die bürgerliche schon gleich gar nicht: Ihr ressourcenakkumulierendes und -kommodifizierendes (vulgo: kapitalistisches) Modell lebt, obwohl es in großem Maße Zukunft verbraucht, ganz von Tag zu Tag. Dieses Modell, das inzwischen fast alle Menschen auf der Erde integriert hat, wird sich notwendigerweise (nicht geschichtsnotwendigerweise, sondern realitätsnotwendigerweise) in nicht allzu ferner Zukunft in etwas Anderes, Neues transformieren. Von dem, was dieses Andere sein könnte, gibt es keine konkrete Vision, jedenfalls keine, die man eins zu eins nachbauen könnte oder der man widerspruchslos folgen sollte. Aber das ist auch gar nicht nötig. Denn was an diesem Anderen gut sein wird, ist auch heute schon gut. Und was daran schlecht sein wird, ist auch heute schon schlecht. Mehr Hoffnung, fürchte ich, kann ich Ihnen nicht machen.

Doch eigentlich sollte es ausreichen.
 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich. Alle Kolumnen von Sascha Mamczak finden Sie hier.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.