Stilvolle Wurmloch-Odyssee
Die Erzählungen von Angela & Karlheinz Steinmüller und Erik Simon
Angela und Karlheinz Steinmüller zählten zu den führenden Science-Fiction-Autoren der DDR. Außerdem arbeiten die 1941 geborene Diplom-Mathematikerin und der 1950 geborene Diplom-Physiker und Doktor der Philosophie, die heute in Berlin leben, noch immer als angesehene Zukunftsforscher. Auch der Physiker Erik Simon hatte als Lektor, Herausgeber und Autor großen Einfluss auf die SF-Landschaft in der DDR, später übersetzte der ebenfalls 1950 geborene Dresdner Autoren wie die Strugatzkis (im Shop) oder Witcher-Schöpfer Andrzej Sapkowski. Gemeinsam verfassten Simon und das Ehepaar Steinmüller zudem allerhand bemerkenswerte, stilistisch versierte Erzählungen. Bei Hardy Kettlitz’ Memoranda-Imprint des Golkonda-Verlages sind nun die beiden Bücher „Die Wurmloch-Odyssee“ und „Leichter als Vakuum“ mit dem gemeinsamen Schaffen der deutschen Genre-Größen erschienen. Die unabhängig zu lesenden Gemeinschaftsbände setzen die jeweiligen Werkausgaben von Simon und den Steinmüllers fort, die beim Shayol Verlag starteten, wo 2014 sogar noch ein paar wenige Exemplare einer angedachten früheren Ausgabe von „Die Wurmloch-Odyssee“ aus dem schwarzen Loch entkamen, in dem der Berliner Szenepublisher und Golkonda-Vorläufer letztlich verschwand.
„Die Wurmloch-Odyssee“ ist ein prächtiges, gehaltvolles und abwechslungsreiches Weltraumabenteuer – eine tolle Space Opera und ferner ein wunderbarer Mosaik-Roman. Alles begann 1984 mit einer schön-sperrigen Story der Steinmüllers, die sich darin vor der überschäumenden amerikanischen Magazin-SF verbeugten und den Wurmloch-Navigator des irdischen Raumschiffes Mercudius Quarbis im exotischen Gewimmel und Gewusel eines Alien-Basars verloren gehen ließen. Erik Simon griff den Faden und die Ideensplitter der Story zur Zeit der Wende für eine SF-Themenanthologie auf, und von da an gingen Ideen, Geschichten und Exposés hin und her – bis 2014 entstanden so insgesamt acht Episoden, die am Ende eine gemeinsame größere Geschichte ergeben, die sowohl das Schicksal des gestrandeten Navigators, als auch der durch die Weiten des Alls irrenden Mercudius Quarbis abhandelt. Unterwegs warten xenologisch spannende Begegnungen mit dem faszinierenden zeitfressenden Weltenlaicher, Robotersiedlern, Echsenmenschen und viele Anspielungen auf die Verwaltungswut und Beschäftigungsphilosophie der ehemaligen DDR. Ein schmaler, immens lohnenswerter Band, der nicht zuletzt aufgrund seiner vielseitigen Stilmittel und variablen Erzählstimmen zu überzeugen weiß.
In „Leichter als Vakuum“ wird es hingegen ganz schön meta, denn bei jeder der Geschichten handelt es sich um ein Schriftstück, das dem fiktiven Wissenschaftler Simon Zwystein als Experte für obskure Manuskript-Entdeckungen in die Hände fällt, woraufhin er es begutachtet und mit Kollegen in einer Briefkorrespondenz diskutiert (überhaupt fällt auf, dass viele Texte in den beiden Bänden ‚Aufzeichnungen’ unterschiedlichster Art darstellen). Mal geht es um eine antike Weltreise oder die Beziehungen zwischen Karl dem Großen und einem Kalifen, mal um eine Zeitreise ins Mittelalter, mal eine Raumfahrt im Luftschiff zur Zeit des Nationalsozialismus, mal um eine pulpige Reise zum Mond und zum Mars im frühen 20. Jahrhundert. „Die Wurmloch-Odyssee“ ist zweifellos der unterhaltsamere Band und das größere Vergnügen für Science-Fiction-Fans, die sich diesen Qualitätsbeweis deutschsprachiger SF auf keinen Fall entgehen lassen sollten, doch die gesamte Bandbreite von Erik Simon und den Steinmüllers wird schließlich durch „Leichter als Vakuum“ deutlich.
Die Wurmloch-Odyssee stellt übrigens trotz der inhaltlichen Verbindung zum üppigen Steinmüller’schen Kosmos und anderen ihrer Bücher einen guten Einstiegspunkt in ihr Schaffen dar – sozusagen perfekt für den Erstkontakt geeignet.
Simon & Steinmüller: Die Wurmloch-Odyssee • Memoranda, Berlin 2017 • 183 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 15,90 Euro
Simon & Steinmüller: Leichter als Vakuum • Memoranda, Berlin 2017 • 281 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 16,90 Euro
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