29. September 2025

„Animale“ - Bildgewaltiges Body-Horror-Drama

Eine Frau fährt die Hörner aus

Lesezeit: 3 min.

Animale“ von Emma Benestan feierte letztes Jahr in Cannes Premiere, ebenso wie Coralie Fargeats „The Substance“. Während letzterer aber einen Megahype auslöste und eine Millionen Preise und Nominierungen kassierte, fand Benestans Film kaum Beachtung. Das ist bemerkenswert, da beide Werke von männlicher Unterdrückung erzählen, die bei Frauen Transformationen in Gang setzt. Während Fargeats Film allerdings überdreht und platt daherkommt, auf grelle Schockbilder setzt, dem Publikum seine Botschaft mit der Subtilität einer BILD-Schlagzeile förmlich in den Kopf rammt, macht Benstan zwar ebenso wenig einen Hehl aus ihrem Anliegen, setzt aber auf Zurückhaltung, Langsamkeit und beeindruckende, oft ätherische Breitwand-Bilder von Ruben Impens, dem Stammkameramann von Julia Docournau („Titane“), die man in der Form noch nicht gesehen hat und dafür sorgen, dass der ungemein sehenswerte Mix aus Body Horror und Drama zuweilen auch vom Geist des Westerns durchdrungen wird.

Aber leider hat sich der besonders laut Bellende durchgesetzt, wieso soll es im Festivalsbetrieb anders sein als anderswo, aber immerhin gibt’s für „Animale“ noch eine späte Kinoauswertung.

Erzählt wird von der 22-jährigen Nejma, die für den Stierkampf in der Camargue trainiert, eigentlich eine Männerdomäne. Aber ihre Kollegen scheinen sie akzeptiert zu haben, und so wird Nejma nach einer Nacht voller Alkohol und Drogen dazu überredet, sich allein in die Wildnis zu begeben, eine klassische tough-guy-Mutprobe, wie sie männliche Teenager zwischen 13 und 60 so gerne absolvieren – was in dem Fall schiefgeht. Die junge Frau wacht am nächsten Morgen mit Schmerzen wieder auf, kann sich aber an kaum was erinnern. In der drauffolgenden Zeit stellt Nejma nicht nur immer weitere Veränderungen an ihrem Körper fest, sondern merkt, dass sie immer mehr mit den Tieren mitfühlt, während gleichzeitig ein immer tiefer werdender Graben zwischen ihr und den Männern entsteht. Eines Tages wird einer der Kerle grausig dahingemeuchelt aufgefunden …

Benestan macht schnell klar, worum es ihr geht: Der tolerante Umgang der Männer mit ihrer weiblichen Kollegin wird durch Bildkompositionen, in denen Nejma isoliert wird, unterminiert. So sehr sie versucht, sich anzupassen, ebenso mit Angebersprüchen um sich wirft, wie ihre Arbeitskollegen: Nejma ist und bleibt in ihre Rolle als Frau eine Außenseiterin und es ist selbstverständlich, dass nach Saufgelagen sie die Gläser wegräumt. Der einzige wirkliche Freund ist (natürlich) homosexuell.

Die immer intensiver werdende Verbindung zu den Stieren, ungezügelte Naturgewalten, die von den Männern gefangen, geschmückt und bezwungen werden, fühlt sich natürlich an und so überrascht es nicht, dass der Grund für ihre langsame Verwandlung eine Vergewaltigung ist. Das Mysterium, das der Film um die Geschehnisse in der Partynacht aufbaut, wirkt etwas erzwungen, hier hätte man etwas schneller zum Punkt kommen können oder gleich mit offenen Karten spielen sollen.

Zumal sich „Animale“, der ab dem ersten Mord im Prinzip ebenso in Rape-and-Revenge-Gefilde wandelt, eigentlich ohnehin nicht groß für Genre-Mechanismen interessiert: Die Verwandlungs- und Mordszenen sind kurz gehalten, an großem Effektbrimborium besteht kein Interesse. Der Film widmet sich während seiner ganzen Spielzeit der inneren und äußeren Welt von Nejma, die mit Oulaya Anamra, die glaubhaft zwischen herb und verletzlich schwankt und in deren Aussehen immer etwas leicht Undurchdringbares mitschwingt, ideal besetzt wurde und macht in einem enorm starken Schlussbild noch mal eindrücklich klar, worum es geht: Um ein Gefühl von Freiheit.

Sonderlich tiefgründig ist sicherlich auch das nicht, aber eben auch nicht berechnend, sondern geradeaus und aus tiefstem Herzen.

Animale • Frankreich 2024 • Regie: Emma Benestan • Darsteller: Oulaya Anamra, Vivien Rodriguez, Elies-Morgan Admi-Bensellam • im Kino

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